Ich möchte euch in meinen nächsten Beiträgen einige der Kinder vorstellen, die ich in der KiTa betreuen darf. Die Namen sind geändert* und weil ich auch keine Fotos veröffentlichen darf, habe ich die jeweiligen Lieblingsspielzeuge oder Hilfsmittel der Kinder fotografiert, damit der Beitrag nicht allzu "trocken" ausfällt.
Maya* leidet am sogenannten West-Syndrom, einer schwer behandelbaren Epilepsieform, die eine fortschreitende Schädigung des Gehirns bewirkt. Dieses Syndrom wird auch als BNS-Epilepsie bezeichnet, wegen der drei Anfallsformen, die auftreten:
Blitz-Anfälle (B): Plötzlich (blitzartig) auftretende heftige Zuckungen des gesamten Körpers oder einzelner Körperteile in Sekundenbruchteilen, wobei in der Regel insbesondere die Beugung der Beine auffällig ist.
Nick-Anfälle (N): Zuckungen der Nacken- und Halsmuskulatur, wobei das Kinn ruckartig in Richtung Brust gebeugt oder der Kopf eingezogen wird (nicken).
Salaam-Anfälle (S): Schnelle Beugung des Kopfes und des Rumpfes nach vorne und gleichzeitiges meist symmetrisches Hochwerfen und Beugen der Arme mit teilweisem Zusammenführen der Hände vor der Brust oder Ruderbewegungen. Würde man sich diesen Vorgang verlangsamt vorstellen, ähneln die Bewegungen dem morgenländisch-orientalischen Friedensgruss (Salaam), was diesem Anfallstyp den Namen eingebracht hat.
Maya ist schon über drei Jahre alt, wegen ihrer ausgeprägten Einschränkungen jedoch in der Gruppe der jüngeren Kinder geblieben, da sie in der momentanen Gruppe der älteren Kinder bei sehr vielen Aktivitäten nicht mitmachen könnte. Sie hat ein hübsches, ausdrucksvolles Gesicht, das sich aber häufig (wie auch der Rest ihres Körpers) unkontrolliert verkrampft. Maya kann nicht sprechen, aber man merkt ihr deutlich an, wenn sie zufrieden ist oder wenn sie sich nicht gut fühlt. Sie kann zufrieden lächeln oder mit angespanntem Gesicht und gerunzelter Stirn "finster" dreinschauen. Ausserdem kommen bei ihr sogenannte "Sprach Buzzers" und ein i-Pad zum Einsatz. Auf dem ersten Bild seht ihr ein Gerät, das auf Knopfdruck verschiedene Lieder abspielt. Der Buzzer auf dem zweiten Bild kann mit Sprachaufnahmen bespielt werden, die durch Knopfdruck wiedergegeben werden. Auf dem Gerät nimmt die Mutter auf, was sie am Wochenende gemacht haben und Maya kann es dann per Knopfdruck "selber erzählen". Und Maya erzählt so der Mutter via Gruppenleiterin, was sie in der KiTa erlebt hat. Beim Essen hat sie einen Buzzer, der "od Bis" (noch einen Bissen) abspielt. So kann Maya das Tempo, in dem sie gefüttert werden will, selber bestimmen. Das klappt sehr gut und manchmal habe ich den Eindruck, dass sich Maya einen Scherz erlaubt mit uns. Mit vollem Mund drückt sie einige Male auf den Buzzer und lacht dazu...
Mit dem i-Pad ist es z.B. möglich, Maya wählen zu lassen, was sie spielen will. Es gibt dazu diverse sehr gut gemachte Apps. Auf dem Bildschirm erscheinen z.B. vier Auswahlmöglichkeiten (Symbolbilder) für Aktivitäten: Ball spielen, Lied singen, Umarmung und Küsschen, Kitzeln. Die verschiedenen Optionen werden von der Betreuerin verbalisiert und Maya kann eines der Symbole mit ihrem Blick fixieren, worauf dieses blinkt und einen Ton von sich gibt. Die Betreuerin führt dann die ausgewählte Aktivität mit ihr durch. Es gibt auch Programme, wo Maya mit Hand oder Finger über den Bildschirm fahren kann und farbige Linien zeichnet, die je nach ausgewählter Farbe unterschiedliche Geräusche erzeugen. Auch unsere laminierten Bildkärtchen sind für Maya sehr hilfreich. Wenn man ihr zwei Optionen hinhält, zum Beispiel "essen" oder "trinken", dann teilt sie ihre Wahl mit, indem sie die entsprechende Karte zu ergreifen versucht. Man muss dabei sehr geduldig sein, denn oft dauert es eine Weile, bis nach dem Angebot eine Reaktion erfolgt. Ich finde es faszinierend, wie man dank der modernen Technik bei Kindern wie Maya auch die kleinsten Ressourcen aktivieren kann. Sie wird eines der Kinder sein, das in der Tagesstruktur von ADI bleiben und dort weiterhin best-möglichst gefördert wird. Maya hat eine wunderbare Familie, die sie sehr liebt und sie selbstverständlich in den Familienalltag integriert auch wenn das manchmal eine grosse Herausforderung ist! Bei Patienten mit dem West-Syndrom ist eine Prognose sehr schwierig, da das Krankheitsbild komplex ist und von diversen Faktoren beeinflusst wird.
Gila* ist vor einer Woche zwei Jahre alt geworden, wird aber immer wieder auf über dreijährig geschätzt. Sie hat eine genetisch bedingte, endokrine (die Drüsen mit innerer Sekretion betreffend) Erkrankung, wodurch sie übermässig schnell wächst und auch zur Fettleibigkeit neigt. Vor allem ihre motorische Entwicklung ist verzögert, da ihr Muskeltonus vermindert ist. Sie bewegt sich etwas schwerfällig und vermeidet Anstrengungen. Kognitiv entwickelt sie sich positiv und hat in den vergangenen Monaten grosse Fortschritte beim Sprechen gemacht. Da ihr Vater dunkelhäutig ist, hat sie einen wunderschönen dunkel-caramel-farbenen Hautton, schwarze Haare und dunkelbraune Augen.
Auch wenn Gila normalerweise übermässige Bewegung vermeidet, ist ihre Mimik dafür umso aktiver. Es steht ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, was sie denkt und fühlt. Sie kann so kritisch dreinschauen, dass man sich unwillkürlich fragt, was man wohl falsch gemacht hat.
Seit einiger Zeit gibt es in der freien Spielzeit vor dem Frühstück einen Puzzle-Tisch, den Gila sehr cool findet. Sie braucht noch viel Unterstützung beim Zusammensetzen der dreiteiligen Puzzles, freut sich aber jedes mal riesig, wenn das Tier vollständig ist. Dann fragt sie "mah?" (was) und spricht den Tiernamen nach. Von manchen Tieren weiss sie eigentlich selber wie sie heissen und was für Laute sie machen aber es ist für sie, glaube ich, Teil des Spiels, zu fragen und nachzusprechen. Manchmal sitzt sie verträumt da und beobachtet die anderen Kinder. Andererseits kann sie sehr laut und resolut werden, wenn ihr jemand etwas nicht geben will oder ihr etwas wegnimmt. Gila könnte stundenlang essen und würde riesige Mengen verschlingen, wenn man sie lassen würde - das ist ein Symptom ihrer Krankheit. Sie akzeptiert es aber ohne Probleme, wenn man ihr erklärt, dass sie jetzt genug gegessen hat.
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