In diesem Beitrag möchte ich euch die letzten drei Kinder unserer Gruppe vorstellen. Die Namen sind geändert* und weil ich auch keine Fotos veröffentlichen darf, habe ich die jeweiligen Lieblingsspielzeuge oder Hilfsmittel der Kinder fotografiert, damit der Beitrag nicht allzu "trocken" ausfällt.
Itai* ist ein zarter zweieinvierteljähriger Junge, verträumt und etwas scheu. Er wurde einige Wochen zu früh geboren und hat vor allem motorische Defizite. Seine Körperspannung und Muskulatur sind eher schwach (hypoton), weshalb er im sitzen oft etwas in sich zusammensinkt und auch mit Schienen kaum selbständig stehen und gehen kann. Er wird durch physiotherapeutische Übungen und regelmässiges Steh- und Gehtraining gefördert. Weder das eine noch das andere behagt ihm sonderlich. Die Spannung in seinem Rumpf hat sich in den vergangenen Monaten stark verbessert, so dass er keinen Stützgürtel mehr benötigt und eigentlich nur noch einsinkt, wenn er müde ist.
Itai liebt Bücher und Geschichten - damit kann man ihm auch das ungeliebte Stehtraining etwas erträglicher machen. Er sitzt oft irgendwo am Boden und erzählt sich selber Geschichten aus den Bilderbüchern. Er kann sich sehr gut ausdrücken und kommentiert gerne alles, was die anderen Kinder oder wir Betreuenden tun und sagen. Er isst fürs Leben gerne, lässt sich Zeit für die Mahlzeiten (meist sitzt er als letzter noch am Tisch) und ruft geniesserisch "eise taiiiim!" (wie gut das schmeckt) in die Runde. Itai liebt es, gekitzelt zu werden und singt gerne und gut. Er mag keinen Lärm, darum fühlte er sich an Purim mit all dem Gerassel nicht so wohl. Auch ist er generell etwas ängstlich und muss behutsam an Unbekanntes herangeführt werden, indem man es ihm erklärt, wobei er ein erstaunliches Verständnis an den Tag legt. Mit seinem sehr ausgeprägten Eigenwillen wird sich Itai wohl später trotz seiner körperlichen Schwäche im Umfeld eines Regelkindergartens behaupten können.
Esra* ist zweieinhalbjährig, leidet am DiGeorge-Syndrom und seine Eltern sind mit ihm aus England nach Israel eingewandert, weil hier die Behandlungsmöglichkeiten deutlich besser sind.
Bei dem DiGeorge-Syndrom (auch Deletionssyndrom 22q11) fehlt ein kleines Stück Erbinformation auf dem 22. Chromosom. Wesentlich unbekannter als andere Gendefekte, ist das Syndrom gar nicht so selten: Etwa 1 von 4000 Neugeborenen ist von diesem Gendefekt betroffen.
Welche Symptome auftreten können und wie stark diese ausgeprägt sind, ist von Kind zu Kind verschieden. Medizinern sind inzwischen über 180 verschiedene Symptome bekannt, die den Gendefekt begleiten können.
Zu den häufigsten Symptomen zählen:
Herzfehler
Gesichtsauffälligkeiten wie etwa ein flacher Nasenrücken
Kalziummangel durch eine Nebenschilddrüsenunterfunktion
Mittelohrentzündungen und eine allgemeine Infektanfälligkeit
Gaumensegelveränderungen und eine verzögerte Sprachentwicklung
Allgemeine Entwicklungsverzögerung und Lernstörungen
Erkrankungen des Verdauungstrakts wie etwa ein Reflux
Knochenfehlstellungen , zum Beispiel im Bereich der Halswirbelsäule
Wenn ich es richtig einschätze, ist Esra von allen aufgezählten Symptome betroffen. Sein Kopf ist im Verhältnis zu seinem feingliedrigen Körper eher gross und er ist am ganzen Körper eher hypoton. Stehen und Gehen will er nicht, bewegt sich aber sitzend fort, wobei er sich ungern anstrengt. Auch Esra trägt Schienen und muss Steh- und Gehtraining machen (meist auf dem sogenannten "KidWalk", den ihr auf dem dritten Bild seht), was er manchmal lustig findet, öfter aber sehr uncool. Wegen eines Herzfehlers braucht er nachts Sauerstoff und ab und zu auch tagsüber. Esra wird durch eine PEG-Sonde (eine Sonde, die durch die Bauchdecke direkt in den Magen führt) ernährt, muss aber wegen eines ausgeprägten Reflux und Medikamentennebenwirkungen oft erbrechen, weswegen er sich weigert selber etwas zu essen. (Bild 3-Bildquelle Website Prime Engineering KidWalk)
Auch die Ernährung über die Sonde ist ihm zuwider, weil es ihm davon meist schlecht wird - dann versucht er am Ernährungsschlauch zu reissen und grinst uns dabei schalkhaft und herausfordernd an. Wir versuchen ihm spielerisch und mit Leckereien (wie Erdnussflips mit Schokolade, Crackers oder Keksen) die Freude am essen zu wecken, was inzwischen zwei bis dreimal pro Woche von kleinen Erfolgen gekrönt ist. Wenn es ihm übel ist, sieht man es ihm an und es zerreisst einem fast das Herz ihn so leidend zu sehen. In diesen Momenten steckt er sich dann öfter mal den Finger in den Hals, weil er weiss, dass es ihm nach dem Erbrechen besser geht. Wenn es ihm nicht übel ist, ist er ausgesprochen fröhlich und wenn man Musik abspielt oder singt dann macht er mit dem ganzen Körper mit, rasselt oder klatscht dazu und strahlt übers ganze Gesicht. Neben Musik und Singen sind die bunten Plastikschläuche auf dem zweiten Bild seine Lieblingsbeschäftigung. Esra kann noch nicht wirklich sprechen und gibt vor allem Laute wie "nana" und "mama" in unterschiedlicher Aussprache von sich. Manchmal, wenn es ihm nicht so gut geht, ist mit "mama" tatsächlich seine Mama gemeint und er zeigt dabei zur Tür, weil er abgeholt werden möchte. Letzte Woche hat er zum ersten Mal ein anderes Wort gesagt: Er hat auf Chavah (aus Teil 1) gezeigt und "Hahah" gesagt. Als wir ihn begeistert gelobt haben, hat er gestrahlt und sich selber Beifall geklatscht.
Nathanael* ist bildhübsch mit blonden Locken und für seine 20 Monate sehr gross und kräftig. Dadurch wird er leicht überschätzt und überfordert. Er lebt in etwas verworrenen Familienverhältnissen und sein einiges älterer Bruder ist von einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen. Nach meinen Beobachtungen der vergangenen Monate trifft das auch auf Nathanael zu. Es ist die meiste Zeit unmöglich, mit ihm Kontakt aufzunehmen, er scheint in seiner eigenen Welt zu leben, in die man kaum eindringen kann. Sein Bewegungsdrang ist sehr ausgeprägt, er marschiert oft durch den Raum, scheinbar ohne seine Umgebung wahrzunehmen, wobei er manchmal anderen Kindern auf Hände oder Füsse tritt oder sie umwirft. Das führt dazu, dass sich manche Kinder vor Nathanel fürchten und ihm aus dem Weg gehen, andere versuchen mit ihm zu spielen, was nicht gelingt und somit sehr frustrierend ist.
Wenn er ruhelos umhertigert, hält er meistens ein Spielzeug in jeder Hand (der Plastikhammer auf Bild 3 ist einer seiner Favoriten). Ab und zu kann er sehr schön für sich alleine spielen. Heute zum Beispiel hat er draussen im Hof lange auf der kleinen Rutschbahn gespielt: Zuerst hat er den Lastwagen auf dem ersten Bild (den er sehr liebt, nicht zuletzt wohl auch weil er ihm verschiedenste Geräusche entlocken kann) die Rutsche hinunterrollen lassen und ist dann selber nachgerutscht. Er reagiert mit herzzerreissendem Weinen, wenn ihm etwas weggenommen wird oder er nicht dorthin marschieren kann, wo er möchte, z.B. aus dem Klassenzimmer hinaus in den Korridor oder durch den Wickelraum zur Babygruppe hinüber. Dann ist er jeweils kaum zu trösten und kauert sich manchmal weinend, wie ein Häufchen Elend, in eine Ecke. Oft lassen wir ihn während des Morgenkreises oder den Gruppenspielzeiten einfach herumlaufen, weil er durch nichts zu bewegen ist, sich auf seinen Stuhl zu setzen. Die Musiktherapie einmal pro Woche mag er sehr und wenn er sieht, dass sich Ruthi, die Musiktherapeutin bereit macht, setzt er sich oft freiwillig hin. Auch ins Therapiebad geht er sehr gerne.
Odelia, eine Betreuerin aus unserem Team, hat einen besonderen Draht zu Nathanael. Von ihr lässt er sich auf den Arm nehmen oder kommt auf ihrem Schoss zur Ruhe und schläft ein.
Wir versuchen Nathanael visuell und mit Worten klarzumachen, was als nächstes geschieht und was wir dabei von ihm erwarten. So war es bis vor kurzem ein Riesendrama ihn zu den Mahlzeiten an den Tisch zu setzen. Inzwischen gehen wir mit dem gefüllten Teller zu ihm hin und erklären ihm, dass er essen kann, wenn er sich an den Tisch setzt und sich einen Latz anziehen lässt. Das klappt seit gut zwei Wochen immer besser. Das Essen selber bleibt chaotisch - er steckt sich einen Bissen in den Mund und wirft den nächsten auf den Boden. Mittlerweile füttern wir ihn beim Mittagessen, weil er selbst kaum je satt würde, was er meistens geschehen lässt. Oft ist Nathanael ganz plötzlich müde, mag nicht essen und kann nur noch weinen, dann wiegen wir ihn in den Schlaf und legen ihn in einer Ecke auf seine Matratze und füttern ihn später oder geben ihm einen Milchschoppen. Es gibt aber auch Momente, in denen man Nathanaels Interesse für ein Spiel wecken kann und er für kurze Zeit interagiert, bevor er wieder in seine eigene Welt abtaucht. Ich finde es sehr schwierig zusehen zu müssen, wie unglücklich Nathanael manchmal ist, ohne zu ihm durchdringen oder ihm helfen zu können. Von sich aus nimmt er eigentlich nie Kontakt auf und er spricht nur in einer unverständlichen Babysprache mit sich selbst. Es wird jedoch immer wieder sichtbar, dass er intelligent ist und ich hoffe, dass er eines Tages lernen wird, sich im Leben zurechtzufinden und mit den Menschen um ihn herum zu interagieren. Bei der kompetenten, liebevollen und geduldigen Förderung in der ADI-Kita bin ich diesbezüglich zuversichtlich.
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