Ich möchte euch in meinen nächsten Beiträgen einige der Kinder vorstellen, die ich in der KiTa betreuen darf. Die Namen sind geändert* und weil ich auch keine Fotos veröffentlichen darf, habe ich die jeweiligen Lieblingsspielzeuge oder Hilfsmittel der Kinder fotografiert, damit der Beitrag nicht allzu "trocken" ausfällt.
Judith* ist ein zartes, bildhübsches kleines Mädchen mit dunkelblonden Löckchen. Sie leidet an einer Muskelschwäche (die genaue Art der Krankheit oder Beeinträchtigung konnte ich nicht herausfinden), durch die auch der Schluckvorgang beeinträchtigt ist. Deshalb wird sie weitgehend über eine sogenannte PEG-Sonde (eine Sonde, die durch die Bauchdecke direkt in den Magen führt) ernährt, vorallem seit sie letzten Sommer eine Aspirationspneumonie (Lungenentzündung durch Essen, das in die Luftröhre geriet) durchgemacht hat. Jetzt, wo sie zwei Jahre alt und schon recht verständig ist, darf sie langsam wieder anfangen zu essen, nur ganz kleine Krümel Toast oder Cracker und zerdrückten Thunfisch und dann muss sie zum gut kauen angehalten werden. Judith würde gerne so essen wie die anderen Kinder und ist oft untröstlich, wenn sie nichts mehr bekommt. Während der Verabreichung der Sondennahrung muss sie jeweils auf ihrem Stuhl am Tisch sitzen und findet das sehr langweilig.
Meist kann man sie aber mit einem Spiel ablenken. Sie ist eine leidenschaftliche Puzzlerin und Puppenmutter und hat - ganz israelisch! - immer das Handy dabei, mit dem sie "Ima" (Mutter) oder "Abba" (Vater) anruft. Judith ist ein "empfindliches Pflänzchen" und gerät schnell ausser sich, wenn ihr ein anderes Kind etwas wegnimmt oder sie aus Versehen anrempelt. Wir sind am üben mit ihr, dass sie nicht immer gleich losweint, sondern uns sagt, was ihr Problem ist, denn sie kann schon gut sprechen. So ist es zum Beispiel jeweils ein Riesendrama, wenn man ihr das falsche Puzzle gibt. Da kann sie schluchzen, bis sie fast erbricht. Mittlerweile hört sie immer öfter auf uns, wenn wir ihr sagen, dass sie aufhören zu weinen und uns sagen soll, was sie will.
Sie scheint ab und zu Schmerzen zu haben, dann will sie sich hinlegen, und bekommt regelmässig Medikamente durch die Sonde verabreicht. Auch muss sie mehrmals täglich inhalieren. Manchmal möchte sie einfach auf dem Schoss von jemandem sitzen und kuscheln. Laut unser Pflegefachfrau Bella sollten sich die Schluckbeschwerden im Lauf des Wachstums zurückbilden - wie die allgemeine Prognose von Judith aussieht weiss ich nicht. Sie ist ein äusserst aufgewecktes, intelligentes Kind, versteht viele Zusammenhänge, die weit über ihre altersentsprechenden Fähigkeiten hinausgehen und lernt sehr schnell. Sie wird mit grösster Wahrscheinlichkeit später eine Regelschule besuchen können, wie übrigens auch Chavah, die ihr im letzten Beitrag kennengelernt habt. Das Spiel, bei dem man den Kartonkindern mit Klettverschluss verschiedenste Kleider anziehen kann, liebt Judith sehr und kann lange damit verweilen.
Alyah* hatte letzte Woche Geburtstag und ist zwei Jahre alt geworden. Sie hat es sehr genossen, im Mittelpunkt zu stehen, die Geburtstagskrone aufgesetzt zu bekommen und die mitgebrachten Cupcakes mit ihren Freunden zu verspeisen. Ihr Gehirn ist während der Schwangerschaft nicht ausreichend gewachsen (Mikrozephalie), wodurch sie sowohl körperliche als auch geistige Beeinträchtigungen hat. Ihr Hinterkopf ist stark abgeflacht, sie benötigt eine Brille (das ist ein cooles pinkes Modell, das mit einem bunten Gummiband festgehalten wird) und kann nur mit einer Gehhilfe laufen. Sie ist meist gut gelaunt, hat aber manchmal etwas Mühe, sich von ihrem Abba zu verabschieden, der sie morgens in die KiTa bringt. Dann braucht sie "Mozez" (Schnuller) und "Smichah" (Schmusedecke) und will eine Weile in Ruhe gelassen werden. Sie liebt es, wenn viel Betrieb ist, Musik läuft oder gesungen und getanzt wird. Dann klatscht und jubelt sie und tanzt sitzend oder an der Hand einer Betreuerin. Oft ist sie jedoch auch überfordert, wenn sie nicht versteht, was man von ihr möchte oder was jetzt gerade abläuft. Sie braucht dann jeweils den Schnuller und gutes Zureden um sich zu beruhigen, hört dann aber gut zu, wenn man ihr etwas erklärt. Wir haben optische Hilfsmittel, wie laminierte Bildkarten und "Schautafeln" um den Kindern, die kognitive Defizite haben, verständlich zu machen, was als nächstes geschehen wird.
Wir zeigen den Kindern diese Tafeln und sie können die Gegenstände anfassen. Zudem erklären wir ihnen in den immer gleichen Worten und mit Gesten, was wir vorhaben. Manchmal dauert es eine Weile bis eine Reaktion kommt aber die meisten Kinder verstehen schlussendlich, was auf sie zukommt.
Gerade für Kinder wie Alyah sind diese klaren Strukturen und Abläufe sehr wichtig und geben ihnen Halt und Sicherheit. Wenn ein Kind sich, wie auch Alyah, verbal eingeschränkt oder gar nicht mitteilen kann, wird sehr genau auf die Körpersprache geachtet und dem Kind rückgemeldet, was man wahrgenommen hat. Wenn zum Beispiel Alyah frustriert schreit und sich zu Boden wirft, sage ich: "Ich sehe, dass dich etwas ärgert, aber wenn du so weinst, kann ich nicht verstehen, was es ist. Wolltest du vielleicht mit dem Spielzeug spielen, das sich M. genommen hat?" Sie hört auf zu schreien und schüttelt den Kopf und zeigt zur Küchenzeile. "Hast du Durst, möchtest du Wasser?" Alyah nickt begeistert - endlich hat die "beschränkte" Erwachsene verstanden, was sie wollte... ;-) Alyah liebt es, zu malen und sieht danach meistens selber aus wie ein Kunstwerk - ein Glück, dass die Farben wasserlöslich sind!
Levi* ist in der 27. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen und ist inzwischen eineinhalb jährig. Er hat durch eine Hirnblutung eine sogenannte Hemiparese (halbseitige Lähmung, wie z.B. nach einem Schlaganfall) erlitten. Seine linke Körperhälfte ist deutlich schwächer als die rechte. Da das Gehirn bei Kleinkindern noch in der Entwicklung ist, können andere Hirnregionen die Funktion der geschädigten Areale übernehmen. Dieser Prozess wird durch Physio- und Ergotherapie gefördert und Levi macht grosse Fortschritte. Anfangs wurde z.B. sein linker Fuss, mit dem er immer auf Zehenspitzen tippelte, mit Tape in die korrekte Position gebracht und in den nächsten Tagen wird er individuell angepasste Kunststoffschienen erhalten, die bis unters Knie reichen. Da er die Tendenz hat, seine linke Hand kaum zu gebrauchen, geben wir ihm Spielsachen bewusst in diese Hand oder machen Spiele mit ihm, bei denen er beide Hände benutzen muss.
Auch Levi hat in den vergangenen drei Monaten grosse Fortschritte gemacht. Er ist ein süsses, cleveres Kerlchen, das jeden anstrahlt, der sich ihm zuwendet und mit ihm spricht. Seine geistige Entwicklung ist nicht beeinträchtigt und altersentsprechend. Er fängt gerade so richtig an zu sprechen und plappert wie ein kleiner Papagei alles nach, was er zu hören bekommt. Er mag Spielsachen, die man öffnen, etwas hineinlegen und wieder zumachen kann. Ausserdem spielt er gerne mit Bällen aller Grössen und Farben und krabbelt blitzschnell durch den Raum, um sie einzusammeln. Zum Leidwesen seiner "Gspänli" möchte er oft genau den Ball oder das Spielzeug, das dieses gerade hat. Eine gute Gelegenheit teilen zu lernen. Aber Levi ist sehr leicht für etwas zu begeistern, wodurch er abgelenkt und der Konflikt meist im Keim erstickt werden kann. Er wird in gut zwei Jahren einen regulären Kindergarten besuchen können und seine Prognose ist sehr gut - die Physiotherapeutin meint, dass man ihm später nichts mehr von der Parese anmerken wird.
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