Elisheva ist eine junge Arbeitskollegin in der KiTa. Sie arbeitet in der Gruppe der ältesten Kinder, in der ich die ersten beiden Wochen eingeteilt war. Sie ist 20 und seit letzten Sommer verheiratet. Ich mag sie sehr, sie ist fröhlich, offen und geht unglaublich liebevoll mit den Kindern um. Ihre Eltern stammen ursprünglich aus den USA, weshalb sie perfekt Englisch spricht.
Während der Mittagsruhe der Kinder unterhielten wir uns immer leise und etwas, das mir Elisheva anvertraut hat, möchte ich (mit ihrer Erlaubnis) gerne mit euch teilen. Es zeigt auf eindrückliche Weise den Zerriss und die Spannung der Israelis, von denen die grosse Mehrheit einfach in Frieden leben möchte.
Vielleicht erinnert ihr euch an das Attentat vor einer Synagoge in Ostjerusalem am 27.1. - zwei Tage nachdem ich hier angekommen war. Ein junger, der Hamas nahestehender Palästinenser eröffnete das Feuer auf jüdische Gläubige, die nach dem Gebet zum Sabbatbeginn die Synagoge verliessen. Acht Menschen wurden getötet, weitere verletzt. Der Angreifer wurde auf der Flucht von der Polizei erschossen. In den palästinensischen Gebieten wurde der Terroranschlag spontan von hunderten Menschen gefeiert.
Elisheva erzählte mir unter Tränen, dass einer der getöteten ein guter Freund von ihr gewesen sei, den sie schon seit ihrer Kindheit gekannt hatte. Er war erst 16 Jahre alt. Sie könne es nicht fassen, dass so etwas in ihrem Wohnquartier geschehen sei, sie hätten dort immer friedlich mit den arabischen Nachbarn zusammengelebt. Sie sagte: "Weisst du, ich bin so traurig und wütend und hasse diesen Attentäter. Aber ich will deswegen nicht alle Palästinenser hassen. Es ist so schwer für mich und es wäre viel einfacher meiner Wut Raum zu geben aber das ist keine Lösung!"
Ihr Mann ist Vorarbeiter auf Grossbaustellen und seine Arbeiter sind ausnahmslos Palästinenser aus den Selbstverwaltungsgebieten. Elisheva sagte, dass sie nun oft Angst habe um ihren Mann und darum kämpfen müsse, seinen Mitarbeitern zu vertrauen. Sie wisse, dass sie keine Extremisten seien aber die unterschwellige Angst sei trotzdem immer da. Einmal, als es Ausschreitungen gegeben hatte, habe sie ihren Mann auf der Baustelle angerufen und gefragt, ob er in Ordnung sei. Da das Handy auf Lautsprecher geschaltet war, habe das ein palästinensischer Arbeiter mitbekommen und habe sie gefragt, ob sie Angst habe vor ihm. Sie sagte, dass sie mehr allgemein Angst habe, nachdem sie einen Freund verloren habe, aber dass sich ihre Angst nicht gegen ihn und seine Kollegen persönlich richte. Der Mann sagte ihr, dass er sie verstehen könne und sich selber auch nach einem friedlichen Zusammenleben sehne, den Hass und die Feindschaft so satt habe.
Ich bewundere Elisheva, dass sie sich nicht von Trauer, Wut und Hass überwältigen und bestimmen lässt sondern versucht, einen Unterschied zu machen und nicht alle Araber in den gleichen Topf zu werfen! Sie sehnt sich nach Frieden und ist sich bewusst, dass dies auch die Sehnsucht vieler Palästinenser ist.
Es kostet die Menschen enorm viel Kraft und Energie diese ganzen Spannungen auszuhalten. Dazu kommt noch die schwierige wirtschaftliche Situation vieler Israelis, die sich seit Jahren immer weiter verschlechtert.
Durch das Zusammenleben und Arbeiten mit Israelis bin ich nun viel persönlicher betroffen als vorher. Meine Freundin Mor hat mir einmal gesagt: "Du hast es schön, du kannst nach den Ferien wieder zurück in die Schweiz und dich in Europa frei bewegen. Wir müssen hier aushalten und können nicht einfach mal in ein Nachbarland fahren für einen Tapetenwechsel. Wir müssen das Flugzeug nehmen, wenn wir weg wollen, was sich aber viele Israelis nicht (mehr) leisten können." Trotzdem liebt sie ihr Land und das geht vielen Israelis so!
Etwas, was ich ganz sicher von diesen Monaten mitnehmen werde, ist das Bewusstsein, dass mein angenehmes, sicheres Leben in der Schweiz ein grosses Privileg ist und ich nicht alles als selbstverständlich anschauen will. Was ich hier erlebe bestärkt mich in meiner Lebenshaltung, dass sich in jeder Situation etwas Gutes finden lässt, und sei es noch so winzig oder scheinbar unbedeutend - ich will danach suchen. Wenn ich nur auf die Schwierigkeiten und Hindernisse schaue, laufe ich Gefahr, die Hoffnung zu verlieren. Ein bekannter Spruch beschreibt sehr gut, was ich noch mehr lernen möchte:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Diese Weisheit ist der Anfang eines Gelassenheits-Gebets vom US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr (1892-1971) und in der Originalfassung geht es noch weiter:
Einen Tag nach dem anderen zu leben, einen Moment nach dem anderen zu geniessen. Entbehrung als einen Weg zum Frieden zu akzeptieren. Diese sündige Welt anzunehmen, wie Jesus es tat, und nicht so, wie ich sie gern hätte. Zu vertrauen, dass Du alles richtig machen wirst, wenn ich mich Deinem Willen hingebe, sodass ich in diesem Leben einigermassen glücklich sein möge und im nächsten für immer überglücklich mit dir. Amen.
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